Sonntag, 30. Oktober 2011

GAGA!

Liebe Leute, ich habe erstmals Delhi verlassen und bin doch vollkommen erschlagen. So etwas verrücktes, faszinierendes und zugleich nervenaufreibendes habe ich glaube ich nur sehr selten erlebt. Ich muss einfach sagen, es war absolut GAGA!

Marie und mich verschlug es auf unserer ersten Reise nach Amritsar, nord-westlich von Delhi direkt an der pakistanischen Grenze gelegen, Pilgerort der Religion der Seekhs (Golden Temple) und einziger Grenzübergang zwischen Indien und Pakistan.
Los ging es am Hauptbahnhof von Delhi und wie erwartet wurden wir auch gleich auf dem Weg zu unserem Gleis von einer Menschenmasse überrollt, die in die Holzklasse eine Zuges stürmte. Wir konnten uns nur schwerligst gegen die doch auf einmal ziemlich robusten Inder wieder nach oben schleppen. Das Bild des Zuges möchte ich euch selbstverständlich nicht vorenthalten, die Klischees müssen schließlich ausgiebig bedient werden :)



Voller Spannung erwarteten wir natürlich unsere eigene Zugfahrt, doch eigentlich war das alles recht unspektakulär, denn unser Zug glich einem zugegeben vielleicht etwas in die Jahre gekommenen InterCity samt Plumpsklo, aber war kaum gefüllt, weil wir für Inder quasi am Heiligabend gefahren sind, ich war sehr positiv überrascht.

Angekommen abends um 23h in Amritsar sah das Bild jedoch ziemlich schnell ganz anders aus, als überall nur noch dunkle Gestalten hinter Straßenfeuern saßen und uns jede Menge verlumpte Leute zum Hotel begleiten wollten, weil keine Rickshaw weit und breit zu sehen war, unsere Panik war uns glaub ich anzusehen :)) wie vom Himmel gesandt kam dann jedoch noch eine gelb-schwarz-gestreifte Rickshaw um die Ecke gebraust und hat uns durch diese wirkliche Geisterstadt zum Hotel gebracht. Unser Hotel war jedoch auch eine herbe Enttäuschung, wenn man allein nur an die gelben Eiterflecke und Schamhaare auf unseren Kopfkissen und Schuhabdrücke auf dem Bettlaken denkt.

Die Stadt Amritsar selbst war leider auch ein absoluter Albtraum! Viel unterentwickelter als Delhi, Infrastruktur kaum vorhanden, Menschenmassen auf den Straßen, überall Dreck, Staub und die Leute doch einiges aufdringlicher als in Delhi. Während man sich tagsüber nur im Schneckentempo über die Straßen bewegen konnte und die Abgase nonstop einatmete, wurden wir von den Leuten dort gekniffen, festgehalten, manche stellten sich uns in den Weg um etwas von uns zu bekommen usw, überall tritt man in Dreck, ich kann nur sagen, alles andere als nice!!! Es war heiss, der Dreck und Staub der Straßen heftete sich an jede Pore der Klamotten und jedes Haar. Ich hab auf jeden Fall schnell verstanden, warum die Touris dort nur in Autos an einem vorbeigekarrt wurden. Einen kleinen Eindruck der Straße vermittelt dieses Bild:


Absolut nervig waren auch hier besonders die Leute, die einem hinterherlaufen (an das Angestarre habe ich mich tatsächlich mittlerweile gewöhnt). Am schlimmsten waren hier diejenigen, die Fotos mit einem haben wollten. Sobald man zu einem ja sagte, stand eine Traube von 10 Leuten um einen herum und wollte auch mit einem posieren. So bescheuert das klingen mag, aber man fühlte sich fast wie ein Promi, der nen Bodyguard braucht, um mal in Ruhe gelassen zu werden. So krass hab ich das in Delhi nur ganz ganz selten erlebt.

ABER, wie immer hier, wird man reichlich belohnt. So stellt der Golden Temple der Seekhs quasi das Zentrum der Altstadt dar und da wir ja am Diwali-Abend ankamen, war dort einiges los. Die Seekhs erkennt man zunächst an ihrem Turban und langen Bärten, da sie sich, wenn streng gläubig, ihr Leben lang nicht die Haare schneiden. Ansonsten leben sie frei jeglicher Drogen und ernähren sich vegetarisch, daher ist die gesamte Stadt auch vegetarisch. Am Tempel angekommen fand man sich doch an einem Ort jenseits von allem, was man jemals gesehen hat, wieder. Nachdem wir, wie es sich gehört, unsere Haare bedeckt, Schuhe ausgezogen und Füße gewaschen hatten, ging es an diesen wahrlich magischen Ort. Unglaublich viele Pilger waren dort, schliefen auf dem weißen Mamorboden, es zischten immer wieder Feuerwerke am Himmel, das gesamte Gelände eingehüllt in Lichterketten, in der Mitte dieser vollkommen goldene Tempel, über allem eine wirklich magische Ruhe, wie man sie hier eigentlich nie erlebt. Seht selbst auf dem Video:






Angezogen von dieser Ruhe und der atemberaubenden Atmosphäre saßen wir tatsächlich noch bis 3h nachts wie auf nem Trip dort am Wasser, bzw. am Nektar, wie uns ein Guru erklärte. Hier baden nämlich die Gläubigen, um sich von körperlichen Beschwerden zu befreien. Unser Guru Maninder zeigte uns tatsächlich auch die folgenden Tage den gesamten Tempel, erklärte uns alles zur Religion und wollte uns tatsächlich auch bekehren, in dem er mit mir Diskussionen über die Abhängigkeit von KAFFEE anfing und wollte, dass ich im "Nektar" bade, in dem er mich dann höchstpersönlich abfeudeln und reinwaschen wollte. Ich habe dankend abgelehnt. Unser Guru hielt es außerdem für seine religiöse Pflicht, uns zu betreuen, und lauerte uns andauernd überall auf, SEHR GAGA!!! Ich war demnach sein Bruder, den er liebte, vollkommen auf nem Trip der gute Mann...

Am eindrucksvollsten war unsere Stippvisite im Inneren des goldenen Tempels, in dem Gläubige ihre religiöse Pflicht erfüllen. So kommt es, dass der Tempel 24h jeden Tag von Pilgern gewaschen, gefeudelt und poliert wird, man wird vom Gold im Tempel regelrecht erschlagen, während Pilger auf Leitern die Lampen putzen und sogar absaugen. Währenddessen beten um einen herum andere Pilger. Eine Mischung aus Disneyland, 1001 Nacht und nem ausgiebigen Ecstasy-Trip. Nebenbei klatschte uns dann auch noch ein Guru ne klebrige Mischung aus Zucker, Hefe und Butter in die Hände, was wir dann unter seinen strengen Augen mit unseren Händen verzehren mussten, ich dachte, mein krankes Huhn von letzter Woche kommt wieder hoch. Hier ein paar Bilder von außen, auch mit unserem Guru ;)





Weiterer Höhepunkt war natürlich unser Besuch des einzigen Grenzüberganges zwischen Pakistan und Indien, die sich ja bekanntermaßen zutiefst verabscheuen und daraus auch keinen Hehl machen (über Bemerkungen von Indern über Pakistanis könnte ich ein Buch schreiben, Terroristenpack und dreckiger Pöbel sind da noch die netten Ausdrücke). 

So kamen wir dann nach 30minütiger Todesfahrt aus der Stadt dort an und trafen auf ungeahnte Menschenmassen, die tatsächlich zum Grenzübergang pilgerten. Vorbei an völlig sinnlosen Sicherheitskontrollen, wo tatsächlich jeder einzelne durch nen Metaldetektor laufen muss, der unentwegt piept, aber weit und breit ist kein einziger Polizist zu sehen, der sich auch nur im geringsten darum scheren würde. Angekommen am Grenzübergang empfängt einen ein in der Mitte durch die Grenztore geteiltes Stadion, geteilt in Pakistanis und Inder. Auf indischer Seite tanzende und gröhlende Menschenmassen, Mädchen, die zu Slumdog Millionnaire-Musik tanzen und vollkommen abdrehen, inkl. Stadionanheizer. Auf pakistanischer Seite ein zweigeteiltes Stadion, getrennt nach Männern und Frauen (komplett verschleiert versteht sich, nix da mit Cheerleaders, jodelnden Miniröcken und Pom-Poms), recht übersichtlich besucht, dafür umso fanatischer "Pakistan"-gröhlend mit aberwitziger muslimischer Heulbojen-Mucke, absolut stranges Theater. Als Ausländer erhielten wir dann auch unsere VIP-Plätze und das Spektakel ging los, das eigentlich nur aus folgendem besteht: 

andauernder nationalistischer Stadiongesang, Ausgebuhe der gegenüberliegenden Seite, dann stampfen die Soldaten in ihren mehr als lächerlichen Uniformen wie 80er Jahre PC-Spiel-Männchen im flinken Hackenschritt an die Grenze, knallen die Tore auf und zu, schütteln unter Gegröhle und Gebuhe die Hände der Soldaten des Nachbarn, stampfen dann wie wild gewordene Stiere voreinander imposant her, wer wohl den besten Breakdance aufführen kann, die Menge kaum noch zu halten, tauschen dann Flaggen aus und knallen die Türe mit aller Wucht zu. EINFACH NUR VOLLKOMMEN GAGA! Als Ausländer vesteht man wahrlich die Welt nicht mehr, zögert zwischen Mitgegröhle und peinlicher Berührung von dieser mehr als suspekten Veranstaltung. Ich habe mir die Mühe gemacht, das Gaga-Prozedere im Wesentlichen zusammenzuschneiden:


Alles in allem aber sehr sehr intensive Erlebnisse, die uns da beschert wurden, die ich mit Sicherheit so schnell nicht vergessen werde. Leider auch dann unsere Rückreise, die mich dann wirklich an die Grenze des Ertragbaren brachte und die Stadt wirklich zur Vorhölle auf Erden machte. So hatte unser Zug leider geschlagene 6 Stunden Verspätung, das ergab dann eine Wartezeit am Bahnhof von 7h für uns. Leider verspätete sich unser Zug zusehends jede Stunde weiter, so dass wir vor Ort bleiben mussten unter brennenden Lagerfeuern aus Müll, Uringeruch, uns beobachtenden Menschenmassen, andauernd Leute, die etwas wollen, einen anfassen, Fotos machen wollen, wir waren einfach nur dreckig, verschwitzt und völlig am Ende. Ich wäre am liebsten einfach mal aufgestanden und hätte um mich gebrüllt. 

Aber wie ihr seht, ich bin zurück in Delhi. Als wir dann spät nachts, übrigens auch recht unheimlich und nicht grad ungefährlich, um 5h hier ankamen und uns der von meiner Gastfamilie organisierte Fahrer abholte, fühlte ich mich auf einmal wie zuhause, in einem Paradies der Sicherheit und Zivilisation, so schnell können sich Ansichten ändern :)) Angesteckt von so vielen krassen Erlebnissen planen wir jedoch schon die nächste Reise in 3 Wochen nach Varanasi, Pilgerstadt der Hindus am Ganges, inkl. Nachtzug-Fahrt, mein Panjabi-Herz wummert jetzt schon kräftig. Jetzt werd ich aber erstmal in die Heia springen, während um unser Haus herum ne Affenbande tobt, die hier schon seit heut Nachmittag rumläuft, ich sag euch, hier wirds jeden Tag mehr und mehr GAGA!

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