Samstag, 8. Oktober 2011

Schluss mit der Romantik!

Nun ist bald eine Woche seit dem letzten Eintrag vergangen und mein Delhi-Alltag hat begonnen...und damit auch so einige Eindrücke der ersten Tage verschoben. Aber von vorn.

Zunächst hat ja am Dienstag mein Praktikum bei der Friedrich-Ebert-Stiftung begonnen und ich bin sehr, sehr positiv überrascht und freue mich sehr auf den weiteren Verlauf! Die Stiftung liegt in einem kleinen Ruhepol in der Stadt, umgeben von wuchtigen tropischen Bäumen, bewohnt von reichlich bunten Kanarienvögeln, die vor meinem Büro (JA, meins, GANZ allein :) ) herumschwirren. Meine Kollegen sind unglaublich nett und ich werde die nächsten zwei Monate eine Studie zum Afghanistan-Konflikt erarbeiten bezüglich des indischen und pakistanischen Engagements im Land im Zusammenhang mit dem baldigen NATO-Truppenabzug, die sogar veröffentlicht werden wird, ich bin mehr als entzückt!

Die alltägliche Arbeit bietet mir doch gleichzeitig auch einige Einblicke in die Gepflogenheiten der Inder im alltäglichen Leben. Das beginnt damit, dass ich seit Tagen aufgefordert werde, ich sollte das Essen lieber mit den Händen essen, wobei ich mich weiterhin strikt weigere. Meine Abteilungsleiterin schaut mir daher beim Essen immer nervös auf den Teller wie eine Mutti, die ihrem Kind das Fleisch klein schneiden will. Aber irgendwann ist ja auch mal gut mit Integration, Assimilation und so weiter! Unterdessen wird bereits gewettet, wann mich der Delhi-Belly befällt, sprich ich ca. 3 Tage nicht aus dem Badezimmer komme. Eine Woche ist da schon ziemlich lang und ich bin noch stark und unglaublich stolz auf diese reife Leistung.

Ebenso stark zu beachten habe ich die Hierarchie, die auf dem Kastenwesen beruht, wobei ich mich damit noch nicht so richtig anfreunden kann. Zunächst einmal bin ich ja ohnehin ein Kastenloser. Heisst, ich stehe außerhalb der Gesellschaft und werde generell eigentlich auch nur nett behandelt, weil ich als Deutscher ja Geld habe (kosmopolitere, sprich reichere, und vor allem jüngere Inder schließe ich da mal aus). Führt allerdings dazu, dass man das Gefühl nicht los wird, ein ständiger Fremdkörper in dieser Gesellschaft zu sein. Das ständige Angeglotztwerden ist da nur ein Faktor unter vielen. Gleichzeitig fällt es mir doch schwer, die Arbeit der Leute, die aus einer unteren Kaste kommen, als völlig normal und angemessen hinzunehmen. Ich bin immer fürchterlich dankbar, wenn jemand etwas für mich macht, die Inder finden das allerdings anscheinend etwas - gelinde gesagt - merkwürdig. Als Europäer ist man manchmal recht unsicher, wie man mit der ganzen Geschichte umgehen soll.

Aber wie gesagt, dass Praktikum ist großartig, die Arbeit super interessant, das Team höchstsympathisch und das Klima topmotivierend. Gleichzeitig ist die Familie in meinem Haus wirklich unglaublich nett, hat mir am Donnerstag, als Feiertag war, sogar ein indisches Mittagessen zubereitet und ist mit mir auf das Diwali gegangen, sprich das religiöse Abschlussfest besagter religiöser Feste, auf dem diese wunderschönen Statuen, die ich fotografiert hatte, mitsamt anderen Figuren unter Feuerwerk in den Straßen verbrannt werden. Seht her:



Mit der Arbeit hat natürlich jedoch auch mein Alltag hier ein wenig begonnen und hat das Touri-Umhergelaufe und die Bewunderung des Fremden doch ein wenig abgelöst (wobei ich hier meine Begegnung mit den den Highway blockierenden heiligen Kühen und dem Elefanten auf der Straße ausklammern möchte :) ) und ich kann mir doch ein erstes, wenn auch nicht wirklich fundiertes, aber bodenständigeres Resumé erlauben. Und das fällt nicht mehr ganz so euphorisch aus. Die Stadt ist tatsächlich, bis auf die zugegebenermaßen zahlreichen Sightseeing-Punkte, unglaublich hässlich, das scharfe Essen ist trotz meiner Robustheit auf dem besten Wege, meine Geschmacksnerven abzutöten und meinen Magen zu verätzen und Cafés, bei denen man vielleicht mal draußen sitzen könnte und ein Buch lesen könnte, gibts nicht. Klar, weiß man auch irgendwie alles vorher, aber so ein paar kleine Zufluchtsorte für den schwachen Europäer hätte ich ja doch mal erwartet. Mit durch die Straßen schlendern à la Paris ist hier zumindest nix. Da heißt es: nimm die Rickshaw und friss die Abgase oder stirb! Hinzu kommen dann noch die andauernden Stromausfälle: allein gestern saß ich über eine Stunde in meiner Wohnung im Dunkeln...abends...das ist hier allerdings nichts außergewöhnliches.

Die, die meinen baldigen Nervenzusammenbruch jedoch erwarten, muss ich enttäuschen. Mein Bild von der Stadt ist jetzt vielleicht ein bisschen nüchterner und ich bin auf dem Boden der Tatsachen gelandet, aber es hat doch etwas für sich, die magischen Punkte dieser Stadt dann auch zu entdecken und Wert zu schätzen. So war ich mit Arbeitskollegen im Dilli Hat, einem Handwerks- und Kleidungsmarkt, für den man 10Rupien (als ca. 15Cent) Eintritt bezahlt und sich dafür ohne Menschenmengen und Gestank ganz großartige Dinge anschauen und zudem relativ nett essen kann (allerdings auch ziemlich scharf...). Dann habe ich die bei Ausländern berühmte Defence Colony entdeckt, ein Viertel mit einer Straße voll europäisch aussehenden Bars, einer Bäckerei und Restaurants, ein Lichtblick! Heute war ich zudem auf dem INA-Markt, einem der größten Märkte der Stadt, auf dem man alles finden kann, was man sucht. Um den Käse und das Bier kam ich dann auch nicht herum. Ansonsten sehr großartige Atmosphäre, die ich versucht habe, auf den Fotos ein wenig einzufangen. Da gabs frisch geschlachtete Hühner (das Geschrei hab ich immernoch in den Ohren), Kosmetikprodukte für den verwöhnten Europäer (inkl. Toilettenpapier, in einzelnen Rollen zu kaufen, herrlich! Üblicherweise benutzen die Inder ja das Plumpsklo, nen Wasserschlauch und nen Wassereimer) und indische Süßigkeiten (wobei mich das Hakenkreuz am Geschäft ein wenig verstört hat, das Symbol bringt jedoch in Indien - je nach Richtung, in die es zeigt - Glück).



Von dort aus wollte ich dann eigentlich in Richtung South Extension, einem recht westlich anmutenden Viertel mit Shopping-Malls, ZU FUSS gehen, wobei ich doch eigentlich wissen müsste, dass das keine gute Idee ist. Der Gestank hinter der meinen Weg begleitenden Mauer kam mir schon die ganze Zeit etwas störend vor, bis ich plötzlich neben einem völlig heruntergekommenen Viertel stand, in dem die Leute mich ein wenig verstört angeschaut haben und wo ich folgendes wunderschönes Foto schießen konnte.

Ich habe auf jeden Fall das Gefühl, dass ich diese Stadt doch ein Stück weit mehr verstehe als letzte Woche und dass ich das auch jede Woche aufs Neue behaupten werde. Und darauf freue ich mich schon sehr :) Die nächste Woche wird dann damit verbracht, nachdem ich mich doch ein wenig eingelebt habe, ENDLICH mal wirkliches Sightseeing zu betreiben und den touristischen Norden der Stadt zu entdecken, mich in mein Projekt zu stürzen und zum Wochenende hin dann auch mal das Nightlife ein wenig auszukundschaften. Ich kenne noch so unglaublich wenig von der Stadt und hab trotzdem das Gefühl, schon einen Monat hier zu sein. Das Leben in Delhi kann beginnen...und wer braucht schon Romantik!?

1 Kommentar:

  1. schmuckstück, ich verschlinge deine blogeinträge geradezu...wenn ich das hier alles so lese, kann ich mir förmlich vorstellen, wie du vor mir sitzt und es mir alles live erzählst! großartig!!! dicker kuss von der perle

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